Liebe Absolventinnen und Absolventen, werte Kollegen und Kolleginnen,
heute stehen wir hier zusammen, um einen bedeutenden Meilenstein in Ihrem Berufsleben zu feiern. Ein Moment, der nicht nur das Ende einer Reise markiert, sondern auch den Beginn von neuen Abenteuern, Herausforderungen und Möglichkeiten.
Der Monat September steht nicht nur im Zeichen von Ausbildungs-, Studien- und Lehrgangsabschlüssen, sondern auch für die Hauptlesezeit von Weintrauben. Daher möchte ich meine Ansprache mit einer kleinen Geschichte untermalen, einer Metapher, die mir zu diesem besonderen Anlass in den Sinn kommt: die Entstehung eines aromatischen Weines.
Stellen Sie sich vor, wie eine zarte Weinrebe im Frühjahr keimt. Sie braucht Licht, Wasser und die richtige Pflege, um zu wachsen. So wie diese Pflanze auf ein starkes Fundament angewiesen ist, so benötigen auch Sie, die Sie heute hier stehen, eine solide Basis, um in der Welt der Polizei zu bestehen.
Man kann sagen, dass jeder und jede einzelne von Ihnen dieses Fundament im wahrsten Sinne des Wortes von Hause aus mitbrachte und Einige unter Ihnen, die vorhandene und erweiterte Basis im Rahmen des Aufstiegslehrgangs nutzen und verfestigen konnten. Denn genauso wie die zarte Pflanze des Weines wurden auch Sie mit viel Hingabe gehegt und gepflegt.
Dennoch ist der Weg vom zarten Trieb zur Rebe, die voller Trauben hängt, nicht einfach. Es gibt Stürme, unerwartete Wetterwechsel und andere Hindernisse. Aber mit jeder Hürde wird die Pflanze stärker und reifer.
Und jetzt, wo die Reben voller Trauben hängen, soll daraus natürlich ein guter Tropfen entstehen. Es beginnt mit einer sorgfältigen Auswahl der Trauben. Jede Traube ist einzigartig, jede hat ihre eigene Geschichte. So wie sie – jede und jeder von Ihnen bringt etwas Besonderes mit in unseren Beruf. Ihre unterschiedlichen Hintergründe, Erfahrungen und Träume werden die Grundlage dafür sein, wie Sie ihre Aufgaben als Polizeibeamte erfüllen.
Im nächsten Schritt wird die Traube gepresst. In gewisser Weise erinnert mich dieser Prozess an Ihren bisherigen beruflichen Werdegang. Dieser Prozess ist oft schmerzhaft. Er symbolisiert die Herausforderungen, die Sie, liebe Absolventinnen und Absolventen während der letzten Monate und Jahre durchlebt haben. Es gab lange Nächte des Lernens, stressige Prüfungen sowie viele Einsatz- und Kommunikationstrainings, um Sie für die kommenden Situationen zu wappnen. Auch Momente des Zweifelns wird es gegeben haben – aber all das hat Sie geformt.
Doch dieser Druck ist notwendig, um die Essenz der Traube zu extrahieren. Ähnlich müssen auch Sie sich diesen Anforderungen stellen, um Ihren Charakter zu entwickeln und zu wachsen.
Nach dem Pressen erfolgt die Fermentation. Hier beginnt der eigentliche Zauber. Die Traube verwandelt sich, sie reift, entwickelt Aromen und Tiefe. Auch Sie befinden sich nun in einer Phase der Reifung. Die Welt da draußen ist komplex, voller Herausforderungen, die oft mehr verlangen, als Sie glauben, dass Sie geben können.
In Klausuren hatten Sie bisher drei Stunden Zeit, um eine rechtliche Abhandlung zu Papier zu bringen. Doch nun, wenn Sie aus der geschützten Atmosphäre der Hochschule in der Realität, nämlich in den verschiedenen Organisationseinheiten ankommen und ihren Dienst aufnehmen, werden Situationen auf Sie zukommen, in denen Sie in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen müssen. Diese Entscheidungen können jederzeit von enormer Tragweite sein und ich weiß, das mag einschüchternd erscheinen oder Sie an Ihre Grenzen bringen. Aber genau in diesen Momenten werden Sie wachsen.
Denn genau wie der Wein, der in den Fässern reift, werden auch Sie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten durch Ihre Erfahrungen, Ihre Begegnungen und durch Ihre Taten reifen.
Sie werden auf die unterschiedlichsten Menschen aller Couleur treffen und ja, nicht alle Ihrer Entscheidungen werden Ihr Gegenüber glücklich machen. Aber genau deshalb werte Kollegen und Kolleginnen denken Sie daran, seien sie empathisch, hören Sie zu und verstehen Sie, dass in jeder Situation und hinter jedem Menschen eine Geschichte steckt – eine Geschichte, die es wert ist, gehört zu werden. In diesen Momenten werden Sie Erfahrungen sammeln und daraus Ihre Lehren ziehen. Saugen Sie alles auf. Noch ein Tropfen Geduld und Leidenschaft dazu und dieses Prinzip wird Ihnen stets als Kompass dienen.
Und während der Wein in der Stille des Kellers ruht, stehen Sie hier und sammeln Ihre Gedanken, Sie reflektieren über das, was Sie bisher gelernt haben, und bereiten sich auf das vor, was Sie bei Ihren neuen Dienststellen und in den verschiedenen Organisationseinheiten erwarten wird.
Schließlich kommt der Moment der Abfüllung.
Sie denken jetzt sicher: „Endlich kommt er zum spannenden Teil der -Weinreise-.“ So ist es!
Redevariante: Der Wein wird in Flaschen gefüllt, bereit, sein volles Potenzial zu entfalten. Mit Nichten möchte ich jetzt hier einen Bogen schlagen, welcher Ihnen das Bild vor Augen führt, dass ich hier in Ihnen nun jede Menge volle Flaschen stehen sehe. (ein Schmunzeln im Gesicht) Im Gegensatz zu vollen Weinflaschen stehen hier viele motivierte und erwartungsfreudige Polizistinnen und Polizisten, die bereit sind, in die Welt hinauszutreten und Ihre Fähigkeiten einzusetzen.
Redevariante: Im Gegensatz zu Ihnen wird der Wein in Flaschen gefüllt, bereit, sein volles Potenzial zu entfalten. Aber auch Sie stehen heute hier, ohne ‘Flasch und ohne ‘Fass, bereit in die Welt hinauszutreten und Ihre Fähigkeiten einzusetzen.
Seien Sie sich gewiss, wenn Sie zu uns in die Dienststellen kommen, sind Sie nicht nur Gesetzeshüter, sondern auch Freund, Zuhörer und Mitstreiter. An dieser Stelle möchte ich betonen: Auch in diesem neuen Abschnitt Ihres Berufslebens sind Sie nicht allein.
“Denn halten wir es wie mit dem Wein – er steht nicht für sich allein und will gut verteilt sein.”
Damit möchte ich Ihnen ans Herz legen, Sie sind Teil unserer großen Polizeifamilie. Gerade jetzt, wo Sie zu uns in die verschiedenen Bereiche kommen, gehen Sie offen und ehrlich mit Ihren Herausforderungen oder auch kleinen und großen seelischen Belastungen um. Warum sage ich das zu einem so feierlichen Anlass? Ganz einfach: Weil es dazu gehört!
Seien Sie offen und ehrlich. Lassen Sie sich von Rückschlägen nicht entmutigen. Bitten Sie um Hilfe, wenn Sie sie brauchen. Ihre Kollegen, Ihre Vorgesetzten und Ihre Teams, in denen Sie arbeiten werden, sind da, um Sie zu unterstützen. Nutzen Sie diese Verbindungen, tauschen Sie Ideen aus und lernen Sie voneinander. Seien Sie jedoch auch bereit, Ihr Wissen und Ihren Erfahrungsschatz zu teilen. Unterstützen Sie andere in schwierigen Zeiten. Das ist der Geist der Polizei – ein kollegiales Miteinander in Zusammenarbeit und gegenseitiger Achtsamkeit. Denn Sie sind nun ein weiterer Bestandteil dieser modernen Polizeikultur.
So wie ein guter Wein mit der Zeit besser wird, so werden auch Sie sich weiterentwickeln. Ich wage zu behaupten, dass es in keinem anderen Beruf wie dem unseren eine solch große Vielfalt an Weiterentwicklungs- und vor allem Verwirklichungsmöglichkeiten gibt. Wo sonst können Sie sich als Spezialist in der Verkehrspolizei, der die Herausforderungen von Schwerlasttransporten und Verkehrssicherheit meistert oder als Ermittler in der Kriminalpolizei, der mithilfe modernster Ermittlungsmethoden Täter zur Strecke bringt, entfalten?
Die Möglichkeiten sind schier endlos! Diese Vielfalt ist das, was den Polizeiberuf so aufregend macht.
Diese eben beschriebene Vielseitigkeit ist heute mehr denn je von unschätzbarem Wert. Wir leben in einer Welt, die sich ständig verändert, in der Unsicherheit und Schwierigkeiten an der Tagesordnung sind. Daher ist es umso wichtiger, ein starkes Netzwerk aufzubauen und gegenseitig auf sich Acht zu geben. Darum möchte ich betonen, dass neben dem gesellschaftlichen und dem weltpolitischen Wandel auch wir als Organisation Polizei wandelbar sein und bleiben müssen.
Dazu fällt mir ein Zitat von Aristoteles ein: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“
Gerade diese bewegten Zeiten machen es notwendig, gewisse Routinen zu durchbrechen oder gar zu verändern. Sie werden gerufen, um Lösungen zu finden, ganz egal um welches Problem es sich handelt. Im Zeitalter der Digitalisierung kommen auch wir als Polizei Brandenburg nicht umhin, uns dieser dynamischen Thematik anzunehmen. Straftaten werden zunehmend im digitalen Raum begangen. Arbeitsprozesse werden mithilfe von KI optimiert usw.
Unstrittig ist daher, dass auch wir uns auf diese und viele weitere Neuerungen einstellen und unsere tägliche Arbeit vollumfänglich danach ausrichten müssen.
So ist es nur sinnvoll, dass z. B. der „Schriftverkehr“, der bei der Verkehrsunfallaufnahme oder bereits am Tatort anfällt, mittlerweile mit dem Smartphone bearbeitet werden kann. Daraus können wir schließen, dass diese stetigen Veränderungen auch Gutes hervorbringen können, beispielsweise neue Gesetze, erweiterte oder gar neue Eingriffsbefugnisse bis hin zu neuen Führungs- und Einsatzmitteln.
Dadurch können auch wir als Organisation unsere Segel neu ausrichten und diesem Wandel mit offen Augen entgegen segeln. Ich möchte Ihnen ans Herz legen, seien Sie offen für neue Möglichkeiten, wagen Sie es, Risiken einzugehen und seien Sie bereit, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben.
Einschub
An dieser Stelle möchte ich noch einmal den Beginn meiner Geschichte aufgreifen … Neben diesem heutigen freudigen Ereignis musste ich zu meinem Bedauern feststellen, dass es von den … Polizeiobermeisteranwärtern und … Polizeikommissarsanwärtern X % von der sorgfältigen „Auslese“ der Anwärter nicht zur Phase der „Abfüllung“, also der heutigen Ernennung geschafft haben. X % die unserer Organisation zukünftig nicht zur Verfügung stehen und definitiv fehlen werden.
Diese Größe der Ausfälle bereitet mir erhebliche Sorgen und daher möchte ich mit Verlaub und Blick in Richtung der Politik sowie der Leitung der Hochschule der Polizei Brandenburg diese Gelegenheit nutzen, diese Herzensangelegenheit und die damit verbundenen Fragen in den Raum zu stellen. Ich stelle mir die Fragen, wie wir zukünftig mit dieser
hohen Ausfallproblematik in der Ausbildung zum m. D. aber auch g. D.,
dem demografischen Wandel
sowie den kommenden Generationen mit all ihren Bedürfnissen, wie Work-Life-Balance / Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
einer möglichen inhaltlichen und zeitansatzorientierten Evaluierung des mittleren Dienstes oder auch -möglicher vorstellbarer neuer Außenstandorten unserer Hochschule in anderen Regionen unseres Bundeslandes
umgehen wollen.
Wie können wir als Polizei Brandenburg diesen Verlusten, denn ein enormer Verlust ist jede und jeder potenzielle Kollege, den wir erst gar nicht erreichen und alle die, die es nicht bis zum Ende der Ausbildung und des Studiums schaffen, entgegenzuwirken.
In diesem Zusammenhang sollten auch wir bereit sein, andere, neue oder extravagante Lösungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. Vielleicht müssen wir mit einem gewissen Maß Risiken eingehen oder uns auf bislang unbekanntes Terrain vorwagen. Aber auf jeden Fall sollten wir mit Blick auf die zukünftige Handlungsfähigkeit unserer Polizei Brandenburg diese Themen gemeinsam angehen.
Doch trotz aller Anstrengungen und Aufgaben, die noch vor uns liegen, möchte ich an Sie gerichtet, liebe Absolventinnen und Absolventen sagen, dass Sie erwartungsvoll und mit Freude in den Dienststellen und Organisationseinheiten erwartet und begrüßt werden.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, dass Sie nun wie ein edler Wein reifen, dass Sie schwierigen Situationen mit Mut und Entschlossenheit begegnen und dass Sie immer die Hilfe und den Rückhalt finden, den Sie brauchen.
Ich heiße Sie hiermit herzlich willkommen im großen Team der Polizei Brandenburg und bin überzeugt, dass Sie Ihren Beruf mit Bravour ausüben werden.